Die Osterpredigt zum Nachlesen

Für alle die den Livestream der Osternacht nicht verfolgen konnten oder die Predigt von Pfarrer Pollmeier noch einmal nachlesen möchten, hier der Text in Schriftform:

Predigt für die Osternacht 2020

1.
Alle Aufmerksamkeit richtet sich auf ein Grab. Auf ein verschlossenes Grab. Auf ein Grab, in das Menschen hinein möchten, aber nicht wissen, wie. So kann man die Situation am Ostermorgen, die Situation der beiden Frauen auf dem Weg zum Grab Jesu kurz umschreiben.

jesus grab stein
Bild von TC Perch auf Pixabay

Alle Aufmerksamkeit richtet sich auf Gräber und auf das Sterben. So ist unsere Situation Ostern 2020 kurz zu umschreiben. Täglich verfolgen wir die Zahlen der neu Infizierten und der Verstorbenen. Die Sorge beherrscht unser Denken und Fühlen. Ein Spaziergänger, aufgrund seines Alters ein sogenannter Risikopatient, rief mir dieser Tage mit gebührendem Abstand zu: „Ich schlafe mit dem Gedanken an dieses verdammten Virus ein und wache damit auf!“

Die Frauen machen sich vor fast 2.000 Jahren auf den Weg zum Grab, obwohl sie gar nicht wissen, wer ihnen den Stein vor dem Grab wegwälzen wird. Sie „fahren auf Sicht“ – wie es momentan heißt. Auch wir fahren nur auf Sicht – wann werden die Einschränkungen gelockert, wann ist das Schlimmste überstanden, wann können wir uns wieder zum Gottesdienst versammeln? Keiner weiß es. Die Frauen haben das Grab vor Augen – können wir im Glauben an die Auferstehung Jesu heute nicht weiter sehen, über den eigenen Horizont hinaus?

Der Weg der drei Frauen zum Grab Jesu vor fast 2.000 Jahren und die Erlebnisse am Grab – sie werden für sie zu einer existenziellen, lebenswendenden Erfahrung. Das wünsche ich mir auch: Dass das, was die Frauen am Grab erleben und von dem der Evangelist Matthäus berichtet, für mich, für Sie existenziell, lebenswendend wird, gerade in der heutigen Zeit. Wobei: Das Grab ist offen, der Leichnam fehlt, ein Engel verkündet, dass Jesus auferstanden ist. Doch nicht Freude bricht sich Bahn: „Sie waren voller Furcht“, heißt es weiter.

2.
Furcht und Entsetzen erleben wir auch in diesen Tagen. Ich brauche die Fakten nicht zu wiederholen; sie sind Ihnen bestens vertraut. Wie damit umgehen? Was kann ich den Angehörigen der Kranken und Verstorbenen sagen? Welche Antwort gibt mir und Ihnen das heutige Osterfest, die Feier der Auferstehung Jesu?

Es ist nicht die Antwort des leeren Grabes. Das leere Grab allein stellt mir mehr Fragen, als dass es Antworten gibt. Gut, dass es „nur“ der Beginn der neutestamentlichen Ostererzählungen ist. Es geht weiter.

3.
Der Apostel Paulus widmet das ganze 15. Kapitel seines ersten Briefes an die Korinther dem Thema der Auferstehung. Er beginnt damit, dass er all die benennt, denen der Auferstandene begegnet ist. Denn nicht das leere Grab hat den Glauben an die Auferstehung ins Leben gerufen, sondern die Begegnungen der Menschen mit dem auferstandenen, lebendigen Jesus. Paulus zählt die Zeugen auf. Kann ich ihm und den anderen Zeugen Glauben schenken? Angesichts der Welt mit ihren Schrecken und Schrecklichkeiten? Kann ich an Ostern glauben in karfreitäglicher Zeit? Darauf möchte ich zwei Antworten geben:

Bild: Ute Quaing In: Pfarrbriefservice.de

Erstens: Ich sage für mich: Ja. Ich glaube den Worten des Paulus und der anderen Zeugen. Ich glaube ihnen, weil sie mit ihrem Leben für ihre Worte eingestanden sind. Petrus und Paulus und die vielen anderen. Weil ich sehe, was geschehen ist, nachdem die Menschen Jesus begegnet sind. Das beginnt in den Ostererzählungen schon bei den Frauen am Grab. Ihre Füße beginnen zu laufen, ihre Münder fließen über, als sie den anderen Jüngern und Jüngerinnen ihre Botschaft erzählen. Jesus lebt – nun ist nichts mehr wie zuvor: die lähmende Angst vor dem Tod – wie weggeblasen. Das Leben voller Zuwendung zum Nächsten und zu Gott, das Jesus gelebt hat, es hat doch eine Zukunft. Es bleibt nicht immer als beim Alten, neues Leben ist möglich, neue Wege mitten im alten Leben tun sich auf.

Und zweitens: Wie kann ich gerade in diesen Tagen nicht an die Auferstehung Jesu glauben? Paulus schreibt im heutigen Lesungstext:

„Wir alle, die wir auf Christus getauft wurden, sind auf seinen Tod getauft worden. So sind wir nun mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden.“

Wie kann ich gerade heute nicht an die Auferstehung Jesu und an die Auferstehung der Menschen glauben – in diesen Tagen, in denen der Tod „reiche Ernte“ hält. Doch – zweiter zentraler Gedanke des Paulus in diesem Text – der Tod wird vernichtet. Auch der Tod unserer Lieben, auch der eigene Tod, das Leben siegt. Jesus verspricht es, Paulus und viele andere bezeugen es.

Die Botschaft von Ostern wurde weitergesagt. Die Botschaft breitete sich wie ein Lauffeuer aus. Keiner und keine konnte sie für sich behalten. Immer mehr Menschen wurden von ihr angesteckt: Jesus, der gestorben und begraben war, ist wieder lebendig. Gemeinden entstanden im Namen Jesu Christi. Eine Gemeinschaft, in der Menschen sich gemeinsam auf den Weg machten, um die Osterbotschaft ins Leben kommen zu lassen. Eine Gemeinschaft, die es bis heute gibt und deren Aufgabe sich nicht geändert hat: Sich von Ostern bewegen zu lassen und die Osterbotschaft zu den Menschen zu bringen. Und wenn es nicht von Angesicht zu Angesicht geht, dann per E-Mail, Telefon, WhatsApp.

4.
Manche mögen jetzt einwenden: „Der Petrus und der Paulus und all die anderen hatten es gut. Sie sind dem Auferstandenen begegnet. Und ich, was ist mit mir?“ Der Einwand scheint berechtigt – wenn ich glauben würde, dass der Auferstandene nur Menschen vor 2.000 Jahren begegnet ist. Meine Erfahrung ist eine andere: Dass Jesus auch heute Menschen begegnet – im Gebet, im Gottesdienst, in seinem Wort, in anderen Menschen und immer in der Liebe, die wir einander erweisen.

Ich weiß dennoch: Ostern bleibt als Fest auch eine Zumutung. Ostern mutet mir – und Ihnen – zunächst zu, dorthin zu gehen, wo Trauer herrscht, wo der Tod ist. Das war schon vor 2.000 Jahren so. Ostern mutet mir den Blick auf das Kreuz zu. Es wird nicht Ostern ohne den Karfreitag. Angesicht der Realität des Todes mutet mir Ostern zu, das scheinbar Unmögliche zu glauben. Die ersten Zeuginnen und Zeugen der Auferstehung reagieren mit Fassungslosigkeit und Schrecken: „Tote sind tot“ – davon waren sie überzeugt. Da geht nichts mehr. Doch –es geht noch was: Wenn ich bereit bin zu glauben, dass Gott immer mehr ist als mein Verstehen; dass er immer weiter ist als mein Horizont. Die Größe Gottes ist unermesslich und unfassbar. Ostern mutet mir zu, das zu akzeptieren.

Was Ostern mir – und Ihnen – zumutet, traut Gott uns auch zu. Er traut uns zu, den Weg zu wagen zu den Elenden und Trauernden, ihr Leid nicht zu ignorieren. Er traut uns zu, unser Kreuz zu tragen, nicht den leichten Weg zu nehmen, sondern seinem Sohn zu folgen. Er traut uns zu, die Mauern unseres Alltags zu durchbrechen: von der Feindschaft zur Versöhnung, von der Rechthaberei zur Vergebung, vom Egoismus zum Teilen, von der Gleichgültigkeit zur Liebe, von der Bequemlichkeit zum Engagement. Und er traut uns den großen Durchbruch zu: Gegen allen Augenschein an ihn, seine Liebe und lebensschaffende Kraft zu glauben.

Vom Osterglauben darf ich mich bewegen und beleben lassen. Auch dann, wenn ich mich nicht österlich fühle, weil ich zu viel gesehen und zu viel erlebt habe. Trotzdem darf ich darauf vertrauen, dass das lebendige Osterfest der Hintergrund ist, vor dem ich lebe. Die Hoffnung, die mich nicht im Stich lässt. Das ist doch allemal genug. Für diese Ostern. Und überhaupt. Dass der Auferstandene mit uns geht.

Pfarrer Manfred Pollmeier

Gottesdienste in Zeiten von Corona
Gottesdienste in Zeiten von Corona – Insgesamt haben über 300 Menschen in den Stream der Osternacht reingeschaut. Viele haben uns Bilder davon geschickt wie sie zu Hause vor dem Computer oder am Handy die Messe verfolgt haben, diese haben wir in einer Collage gesammelt, die unsere Gemeinschaft trotz “Social Distancing” sichtbar macht. Vielen Dank!